Screw(b)all Comedy 11. September 2021

John Cassavetes: Minnie und Moskowitz (1971)

Minnie und Moskowitz ist Cassavetes sechster Langfilm.
Gefunden moviepilot.de
Die Writers Guild of America nominierte sein Drehbuch in der (mittlerweile eingestellten) Kategorie “Best Comedy Written Directly for the Screenplay”. Wie das passieren konnte ist mir schleierhaft. Eine Komödie ist der Film höchstens in Ansätzen. Er ist vor allem — wie der spätere Opening Night auch — eine Selbstreflexion auf das Kino. Es ist ein ernster Film.

Weder Morgan noch Seymour, weder Florence noch Minnie interessieren sich für Filme und gehen doch alle ins Kino. Begeistert sind sie von den Filmstars: Morgan: “I don’t care about anything. I don’t know anything about cinema. I don’t like it. Bunch of lonely people, going in, looking up: Forget about it. […] I only like one: Wallace Beery.” Seymour: “I like Bogart.” Minnie: “I always love Humphrey Bogart” Florence: “And I love Claude Rains”.

Was an den Filmstars begeistert, wird in der zentralen Szene des Films geklärt: Nach dem Besuch einer Kinovorstellung von Casablanca gehen die beiden Frauen zu Florence nach Hause. Essen ist nicht mehr da, Kaffee auch nicht, der Wein aus Mangel an Alternativen eine “good idea”. Gesprächsstoff: das unbefriedigte und zunehmende Bedürfnis nach Liebe, das auch mit dem Alter nicht schwinden mag: “I don‘t know whether it’s the sex-thing or whether it’s being alone that makes me so frustrated.” Wenn Florence über Casablanca sagt “I liked him but I didn‘t like her.”, ist es auch die Eifersucht, nicht an ihrer (Bergmans) Stelle, nicht an seiner (Bogarts) Seite zu sein, die miturteilt; die Kritik ist Substitutionsgut der nicht erfahrenen Liebe. Das ist die erste Bestimmung des Kinos, vor allem des von ihm produzierten Stars in seiner Doppelnatur: Als Charakter und Akteur, als projizierte Imagination und reale Person verspricht er die Befriedigung einer Sehnsucht bzw. genauer: gibt den Maßstab vor, an dem die Wirklichkeit nur scheitern kann. Konsumierbar ist der Star – ob im Film selbst oder auf dem Polaroid – nur in seiner Abwesenheit.

Aber nicht nur das Objekt erträumter Befriedigung, auch das Bedürfnis selbst hat im Kino seine Quelle – zumindest für Minnie. Der Glaube an die Liebe ist die Lehre des Kinos, die Minnie, enttäuscht von der Wirklichkeit, als Verschwörung entlarvt:

You know, I think that movies are a conspiracy. I mean it… They are actually a conspiracy because they set you up, Florence. They set you up from the time you were a little kid. They set you up to believe in everything. They set you up to believe in ideals and strength and good guys and romance and, of course, love. Love, Florence… So, you believe it. You go out. You start looking. Doesn’t happen and you keep looking… There’s no Charles Boyer in my life, Florence. I never even met a Charles Boyer. I never met Clark Gable, I never met Humphrey Bogart. I never met any of them… They don’t exist, Florence. That’s the truth. But the movies set you up. They set you up and no matter how bright you are, you believe it.

Minnie, Minnie und Moskowitz


Minnie (Gena Rownlands) und ihre Kollegin unterhalten sich nach dem Kinobesuch. (© Universal Pictures)


Das Bedürfnis ist Resultat einer Verschwörung. Die ausbleibende Befriedigung gründet in der unmöglichen, im Star aber versprochenen Übertragung der Leinwand auf das Leben, in der Hoffnung, auch das eigene könne sein wie ein Film. Es ist diese Szene, die auch das Thema des Films expliziert: Minnie and Moskowitz ist eine Auseinandersetzung mit unseren kollektiven Vorstellungen von Liebe, Konventionen und Rollenbildern und der (Un-)Möglichkeit, sich von ihnen zu emanzipieren — und über die Schwierigkeit, jenseits der Klischees und Phrasen überhaupt eine Sprache für die eigenen Gefühle zu finden.

Damit ist zugleich die Problemstellung angegeben, der sich Cassavetes stellen muss: Was er zu vermeiden hat, ist, dass Minnie and Moskowitz seinerseits wieder und weiter mitwirkt (1.) an der Produktion von Stars, (2.) an der ungebrochenen Wiederholung von Klischees und (3.) an der Fabrikation unhaltbarer Versprechen. Der Film ist auch deshalb sehenswert, weil ihm dies gelingt.

Die erste Schwierigkeit stellt sich für die Besetzung eines Low-Budget-Films in der Regel nicht, fehlt es doch schlicht am notwendigen Kapital. Mehr noch stört hier aber die Zeichnung der Charaktere: Weder Seymour Moskowitz noch Minnie Moore eignen sich zum Vor- und/oder Zerrbild der Wirklichkeit.

Der Umgang mit der zweiten Schwierigkeit, das Brechen der Klischees, ist ungleich komplexer. Minnie und Moskowitz werden beide als Klischees jeweils für sich eingeführt, ehe sich ihre Wege wie zufällig kreuzen. Seymour, Schnauzer und Pferdeschwanz, arbeitet als Parkhilfe für ein mäßiges Restaurant, versucht sich abendlich am Flirten, erweist sich dabei weder als geschickt noch gerissen, sondern schlicht als plump. Selbst erfolglos wird er von den Erfolgreicheren zusammengeschlagen, kurz: er ist ein Loser. Das weiß niemand besser als seine eigene Mutter — weshalb wohl auch nie etwas anderes aus ihm werden konnte: “He’s not pretty” und auch “Albert Einsteins he’s not.”

Minnie, auch das weiß Seymours Mutter, sieht ganz anders aus: “She‘s got a good body and a good face. Cute kid. I like that.”
Mutter schätzt das Fleisch. (© Universal Pictures)
Das ist Kapital am Liebesmarkt, das Seymour nur verschwendet würde. Auch Minnie weiß, dass keine “real problems of any size” sie plagen, aber eben auch, wie wenig das bedeutet: Arbeit im Kunstmuseum, unglücklich und melancholisch, wird sie geschlagen von ihrem verheirateten Liebhaber. Zum Abschied singt sie ihm dennoch “I love you truly” – ehe sie ihn ohrfeigt, als er sie verlässt. Sie ist stets distanziert und reflektiert, nie ausgelassen oder im vollen Wortsinne anwesend, von den Umständen getrieben und ihnen ohnmächtig ausgeliefert: “It’s mainly being alone that makes me so irritated.” Warum aber ist Alleinsein ein Problem, für Minnie wie für Florence – und damit für alle Frauen des Films?

Mindestens zwei Aspekte einer Antwort, arbeitet der Film heraus: einerseits ist, wie Minnie es ausspricht, das Kino selbst der Ursprung des Bedürfnisses nach Partnerschaft wie Produzent des unerreichbaren Ideals, das niemand erfüllen kann. Auch Seymour nicht, was Minnie zum Säufzen bringt: “It’s not the face I dreamed of, Seymour.” Andererseits aber sind es die Männer, die sie schlicht nicht in Ruhe lassen, weder zusammen noch allein: Minnies Liebhaber schlug sie, auch wenn sie sich „nur“ mit einer Frau traf. Seymour akzeptiert eine für ihn geschlossene Tür ebenso wenig.

Motiv nicht nur dieser gestörten Verhältnisse, nicht nur zwischen Minnie und Seymour, sondern auch der Geschlechter ist der Stadtverkehr: häufig wird Auto gefahren. Nur Minnie sitzt nie am Steuer; die Zweisamkeit lässt sie nur vom Bus zum Auto wechseln, Beifahrerin bleibt sie immer. Moskowitz unterscheidet sich von den anderen Fahrern vor allem durch abrupte Richtungswechsel, U-Turns, die sich an einer Stelle auch direkt gegen Minnie richten, als sie sich seinen Annäherungen zu entziehen droht. In den anderen Fällen führen sie aber nur dazu, dass weiter dem Verkehr gefolgt wird, nur in eine andere Richtung. Seine eigene findet er erst durchs Anrennen gegen seine Grenzen.

Die Formsprache des Films spiegelt das: der Schnitt in den Szenen, vor allem aber noch das Arrangement der Szenen untereinander: establishing shots, den großen Überblick, gibt es nicht mehr, harte Schnitte sind die Regel. Der unsichtbare Schnitt just an der Stelle, an der die Szenerie von Seymour zu Minnie wechselt, stört auch hier die Erwartungshaltung. Ruhe- und pausenlos folgen die Szenen, ahmen nach, wie die vier Tage zwischen erster Begegnung und Heiratsentschluss den beiden vorkommen mögen.

Beide also sind sie unglücklich, auch wenn ihre Probleme und Möglichkeiten sich unterscheiden. Dass nicht Seymour, der vor zu viel Gedanken lieber Reißaus nimmt, sondern Minnie diejenige ist, die das Kino demaskiert, hat mit ihrer Ohnmacht zu tun: Reflexion, so wird es von Cassavetes nahegelegt, entsteht erst dort, wo die eigene Hand von einer stärkeren gehindert wird, ihren Willen schlicht zu setzen.

Wie wenig sich Reflexion aber als Ersatzhandlung für die tatsächliche Praxis eignet, wird spätestens in der Szene klar, in der Minnie schließlich Seymour begegnet. Den aggressiven Annäherungsversuchen eines Dates mit Namen Zelmo ausgeliefert, der in Minnie nur seine Phantasien, nie aber sie selbst erblickt, schafft erst das Eingreifen eines anderen Mannes, Seymours, handgreiflich Abhilfe: Statt der Emanzipation Minnies folgt ein Hahnenkampf am Parkplatz um den Besitz ihrer Zeit, der freilich, anders als im Film, nur den Anfang macht: “[T]he world is full of silly asses who just crave your body. I mean not just your body. I mean they want your soul, your heart, your mind, your … your everything. I mean they just can’t live until they get it.” Kurz: “I don’t like men. They smile too much, you see a lot of teeth.”

Bedrückend ist, wie parallel Cassavetes auch hier die beiden Szenen – das Dinner mit Zelmo und die folgende Szene mit Seymour – zeichnet.
Not the face I dreamed of. (© Universal Pictures)
Beide sind sie solche „silly asses“, beide lächerlich, grob und besitzergreifend, bar jeder Zärtlichkeit. Aber was sie trennt, ist, dass sich Seymours Mittellosigkeit im Ausdruck seiner Zuneigung, Quelle seiner Aggressionen, nicht nur gegen Minnie, sondern auch gegen sich selbst richtet; es geht ihm nicht nur um Besitz, er ist auch bereit zu verlieren – und tut dies: erst seinen Job, dann seinen Schnauzer und Pferdeschwanz. Das ist in etwa alles, was er hat.

Erahnbar wird so eine Intention, die nie von den ausgeführten Handlungen erfüllt wird, die umso klischeehafter sich gestalten; Seymour ist komisch. Es ist die Liebe auf den ersten Blick, die ihn verrückt macht: “Minnie, don‘t you see that‘s what happens when you love someone? You punch doors, you make a fool of yourself. Goddamn it! I don‘t know, you know.“ Selbst den Toilettengang vergisst er. Seymour ist ein Klischee. Aber nicht das lässt ihn leiden, sondern der Mangel an genuinen Vorstellungen, Bildern und nicht zuletzt Worten, die seine Zuneigung zu Minnie adäquat und – wichtiger noch – für sie verständlich zum Ausdruck brächten: er ist sprachlos nicht nur vor, sondern auch in der Liebe. Dass er dennoch beständig zu sprechen versucht, auch wenn er nur schreien kann, rettet von dieser zumindest etwas. Dass er sich in Phrasen und Klischees, in die Wiederholung typischer Liebeszenen flüchten kann, hilft beiden. Manchmal, wenn auch nur für Momente, ist es Minnie möglich, vor ihm ihre Sonnenbrille abzulegen. Hier hat das Klischee, trotz aller Kritik, positive Kraft.

Und überhaupt, warum denn auch heiraten? Das Ende des Films ist Cassavetes Antwort auf die dritte eingangs erwähnte Schwierigkeit, die darin besteht, Klischees nicht einfach zu wiederholen. Der Heiratsbeschluss, ausgelöst durch zweisames Nachtbaden, wird konterkariert durch das Dinner mit den künftigen Schwiegermüttern. Von Liebe, der Minnie selbst einmal bescheinigte, keinen Ort zu haben, will Seymours Mutter nichts wissen. Es geht um Handgreifliches, vor dem sich Minnie — so ist die Faust am rechten Bildrand wohl zu verstehen — ihrerseits nicht mehr zu scheuen scheint: “Where are they gonna sleep? What are they gonna eat?” Solange kein Baby unterwegs sei, lohnten die Umstände nicht. Die Mutter rät zur wilden Ehe. Dass sie am Ende recht behält, die Kinder doch kommen, ist das fast zynische Ende und die Abrechnung mit dem Genre: Minnie und Moskowitz glücklich verheiratet, glücklich auch mit ihren Müttern zusammen den Kindergeburtstag ihrer Kinder feiernd: geliefert wird, was jede Screwball Comedy zwar auf Umwegen, aber doch stets erreicht: das Happy End. Hier aber ist es Ironie, angezeigt durch einen Stilbruch. Die Dialoge, die sonst allgegenwärtig sind, die Kamera, die selten die Gesichter der Figuren verlässt, all das fehlt.

Minnie und Moskowitz gibt es in mittelmäßiger Qualität auf Youtube zu sehen.

Konrad
Screw(b)all Comedy - September 11, 2021 - Konrad Bucher