A Comic Book Hollywoodized 25. Februar 2022

James McTeigue: V for Vendetta (2005)

V for Vendetta gehört zu den Geschichten, die das Kino dem Comic verdankt. Die Verfilmung durch James McTeigue auf Grundlage eines Drehbuchs des Wachowski Starships weicht dabei nicht unerheblich von der Vorgabe von Moores und Loyds aus den 80er Jahren ab. Dies gereicht dem Film – wie zu zeigen sein wird – nicht immer nur zum Vorteil. Zunächst aber ist auffällig, dass beide, Comic wie Film, die Handlung jeweils in ihrer unmittelbaren Zukunft ansiedeln: Die Comicautoren Lloyd&Moore wählen 1988 das Jahr 1998, die Wachowskis 2005 das Jahr 2020. V for Vendetta ist beide Male die Geschichte einer unmittelbar bevorstehenden, aber nie eingetretenen Zukunft. Was erlaubt die wiederholte Aktualisierung? Und was hindert daran, die Geschichte als Vergangene zu erzählen?

Die Aussage von Lloyd, er habe kein Interesse an historischen Nachforschungen gehabt,Lloyd&Moore: Vor for Vendetta (New York 1995) S.269 hat zumindest für die Entscheidung der Wachowskis keine Relevanz, vermutlich auch nicht für die Lloyds&Moores. Vielmehr dürfte der Grund darin liegen, dass V for Vendetta selbst die Wiederholung einer historischen Geschichte ist, des Gunpowder Plots, der bloße Absicht blieb: In den alljährlichen Bonfirenights am 5. November wird nicht Guy Fawkes gefeiert, sondern die Tatsache, dass eine Tat wie seine überflüssig ist. Das Bedrohungsszenario, das seine Absicht zum Plot und sein Beinahe-Erfolg doch auch bedeuten, ist dagegen nur mehr im Zeremoniell präsent: Wenn jährlich die Yeomen of the Guard am Tag der Parlamentseröffnung durch die Queen die Kellergewölbe des House of Parliament auf der Suche nach seinen Doppelgängern durchsuchen, waren sie bisher erfolglos. Sie sind nur mehr symbolische, nicht mehr eigentliche Wächter des Hauses; eine konkrete Gefahr besteht nicht mehr.

Wenn Fawkes Absicht in V for Vendetta wiederaufgegriffen wird, dann auf Grund gewandelter Motive: Ein Attentatsversuch, der einst scheiterte und danach obsolet schien, wird wiederholt, weil veränderte Umstände zur Wiederholung nötigen. Wie sehr die Umstände sich geändert haben, machen Lloyd&Moore nur allzu plastisch: das imaginierte, faschistische Regime betet zu einer Künstlichen Intelligenz namens “Faith”, deren Ziehvater ein pädophiler katholischer Bischof ist. So wird dem Gunpowder Plot, einst motiviert durch das Streben nach katholischem Einfluß in England, in der entworfenen Zukunft rückwirkend Erfolg beschieden.

V for Vendetta erzählt also keine Wiederholung der Geschichte als gleicher, sondern als verkehrter. Statt des Stolzes auf den Status quo macht die Machtergreifung religiöser Faschisten feiernswert nicht den Mangel der Gründe für die Revolution, sondern diese: Als Gewaltakt, der sich einem vorangegangenen entgegensetzt. Adorno schrieb “Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward.” und meinte damit den Marxismus.Adorno: Negative Dialektik (Frankfurt a.M. 1970) S.13 Hier ist es die Praxis, die einmal überholt schien, aber wiederholt wird, weil der Grund ihrer Unterlassung verschwand.

Was Adorno zu explizieren unterließ, ist, wem die Philosophie, die zum Lebenserhalt doch ihrer Anhänger bedarf, dieses Leben konkret verdanke. Die Antwort auf diese Frage gab er performativ im Schreiben der Negativen Dialektik und leicht wäre ihm auch der Verweis auf seine Gegenwart gefallen: eine Philosophie, die sich als Produkt der herrschenden Gesellschafts- und Produktionsverhältnisse versteht, wird nur mit diesen untergehen. Moore&Loyd fanden in Thatchers Britannien ebenso leicht einen Grund wie die Wachowskis 2005 in dem Blairs, um die Handlungen Vs zu motivieren und von einer Umwälzung der bestehenden Verhältnisse zu träumen. Was aber damals wie heute stört, ist die Verzerrung der beschworenen Verhältnisse, ein Zuviel an künstlicher Fratze, dem zu wenig an klärender Verzerrung tatsächlich waltender Verhältnisse entspricht.

Die erzählte Machtergreifung der Faschisten etwa verlangte in den 80ern nicht weniger eine gehörige Portion der suspension of diesbelief als in den 00er Jahren. Auch heute noch ist sie unplausibel, daran ändert auch die Pandemie nichts: Als hätte Biontech SARS-CoV2 in die Welt gebracht, um von der Goldgrube in Mainz in die Willy-Brandt-Straße 1 zu ziehen – als gäbe es keine angenehmeren Wohnorte! Selbst die herrschende Ausgangssperre, mit der der Film einsetzt, wird brutal erst durch die Willkür der Fingermen, für die eine zusätzliche Einschränkung der Grundrechte wiederum gar nicht notwendig gewesen wäre.

Wer in V for Vendetta also einen betrachtenswerten Film sehen mag, muss etwas mehr als ein Auge zudrücken. Eines: weil die Ästhetik des Films keinerlei Überraschungen bietet, die Schnitte fast durchgehend platt sind, die Bildsprache bekannt ist und das durch die Musik beschworene Pathos unbewegt lässt. Ein weiteres, weil auch die Handlung nicht aufregt und der gezeichnete Faschismus etwas zu plastisch und deshalb zu fern wirkt, um als Gegenwartsdiagnose oder Zukunftsentwurf zu treffen. Daran krankt aber bereits der Comic, der Film ist der Vorlage hierin zu treu.

Was von V for Vendetta dann noch bleibt, sind eher Gedanken als Bilder. Drei möchte ich hier herausarbeiten: das Verhältnis des Terroristen zu seinen Gegenspielern, sein Spiel mit der Maske und die Liebesbeziehung zwischen ihm und Evey.

1.


Lloyd&Moore: Vor for Vendetta (New York 1995) S.13
Was uns V for Vendetta zunächst erzählt, ist nicht die Geschichte einer Revolution von unten, sondern die einer Rache von Einem. Wie dieser eine V eingeführt wird – in seinem ersten Auftritt rettet er Evey aus den Klauen lüsterner Vergewaltiger –, ist insofern konventionell, als auch hier zunächst nur ein weiterer Held auf der Leinwand/dem Comicstreifen erscheint. Was ihn aber von Marvels Legionen unterscheidet, ist seine Entstehung: er ist Produkt der faschistischen Machtergreifung, ihre Kehrseite und zeigt sich so doch unumgänglich an diese gebunden. Das schwarze Schaf der Familie hat sich deren Beseitigung zum Ziel gesetzt. Und weil jene zugleich das Herrschaftssystem darstellt, ist die persönliche Vendetta hier gleichbedeutend mit dem Kampf gegen das System durch dessen Negativ.

Dieser Kampfmuss sich zugleich gestalten als der eines Einzelnen gegen einen totalitären Herrschaftsapparat. Die Kritik der Ideologie repetiert so ein ihrerseits ideologisch geprägtes Narrativ: dass des einzelnen Vorkämpfers für eine bessere Welt, der sich den Widerungen eines totalitären Staates erfolgreich entgegensetzen kann. Die Stärke der Vorlage von Moore&Loyd besteht gerade darin, zumindest etwas an dieser oft genutzten Blaupause zu rütteln. Der eine Held V ist seinerseits allgemeines Prinzip: er entindividualisiert sich. Sein Gesicht ziert die Maske eines anderen, als dessen Doppelgänger er sich inszeniert und zugleich die Möglichkeit vorbereitet, seinerseits unendlich kopiert zu werden. Nicht anders seine Sprache, die, gespickt mit Zitaten, jene Kultur erinnert, die der Faschismus verdrängen muss, und sei es auch seine eigene. Neben dem Kapitel von Karl Marx und Morus’ Utopie findet sich auch Hitlers Mein Kampf in V’s Bücherregal. Die Erinnerung an dieses Erbe impliziert also keine moralische oder anderweitige Verpflichtung, aus der sich umgekehrt eine Verantwortung Vs gegenüber bestimmten Werten rechtfertigen ließe.

Das Leben V’s als Individuum ist so nur das der Idee als Umsturz,
Lloyd&Moore: Vor for Vendetta (New York 1995) S.41
des unabgegoltenen Vergangenen einer es leugnenden Gegenwart. Und damit ist es nicht bereits auch der Entwurf einer lebenswüridgeren Zukunft: Die Revolution, die V auf den Weg bringt, kann er nicht über den Umsturz hinausbegleiten. Der Tod seines Gegenspielers ist zugleich sein eigener. V Gewalt ist rechtszersetzend, nicht aber rechtsetzend, seine neue Liebe die Anarchie. Das Ende der faschistischen Herrschaft ist deshalb noch nicht der Beginn einer neuen und besseren – und ungeklärt bleibt, ob nicht ihrerseits eine neue Iteration von Guy Fawkes notwendig wird.

Interpretationen, wie die Wolfgang M. Schmitts (Filmanalyse: Die GameStop-Rebellion: V wie Vendetta), die hier eine weitere Varianton des Kampfes David gegen Goliath suchen, greifen zu kurz. Mehr gesehen hat da Žižek, wenn er für V for Vendetta 2 seine eigene Mutter, und damit ein entschiedenes Stück seiner eigenen Vergangenheit, feilbietet :

Žižek: I’m ready to sell my mother into slavery for a film called V for Vendetta part 2. (0:50)

2.

Die Rechte der Vergangenheit, der V entkommt, kann er nur einklagen, indem er die von der Gegenwart falsifizierten Zeugen seinerseits falsifiziert: Die Sprengung der Justitia ist nötig, weil die von ihr dargestellte Gerechtigkeit längst nirgends mehr zu finden ist. In so verkehrter Welt birgt die unberührte Standhaftigkeit eines Denkmals nur mehr dafür, dass Beliebiges ›gerecht‹ genannt werden, und dem Souverän hier – wie von Hobbes erträumt – auch die Macht der Definition zukommt. Ambiguität des Zeichens, die auf die Maske ebenso übertragen wird, und die die Maske ihrerseits dem Film entfremdet hat. Heute tragen Viele Guy-Fawkes-Masken.

Wie Comic und Film damit spielen, zeigt sich in zwei Szenen: Die Wachowskis inszenieren einen Sketch des mutigen Kabarettisten, Gordon Deitrich, gespielt von Stephen Fry, dessen Pointe darin liegt, den Kanzler und V jeweils als Schafe/Wölfe im Fell/Pelz des anderen zu inszenieren. Die Szene ersetzt die stärksten Comicstrips: diejenigen, die das geheuchelte Gebet des Priesters mit dem Weg Vs überblenden, der sich zu dessen Hinrichtung aufmacht.

Maskenspiele. Im Comic (S.53) und im Film (© Warner Bros/DC Comics).

Dieser und die anderen Morde, auch das eine Pointe des Comics, haben nicht zuletzt die Aufgabe, Vs eigene Vergangenheit zu eliminieren, genauer: all diejenigen Zeitzeugen zu töten, die ihn als Person, nicht als Symbol erkennen. Gerade dieser Tendenz arbeitet der Film entgegen: V erscheint, als sei er wirklich auf einer persönlichen Vendetta, persönlich auch in der Motivation.

Nicht nur das. V liebt auch noch. Aber ist wie ist Eveys Namen zu lesen? Als »a-V« – ein V, Wiederholung des Wiederholers – oder als der der Person Evey?

3.

Der Film entscheidet dies und transponiert die Verhältnisse in eine, der Vorlage unbekannte, dem Genre aber nur zu bekannte Liebesbeziehung, zwischen zwei *Personen*: Evey und V. Dass Evey im Film, im Unterschied zum Comic, als selbstbewusste und ihrerseits aufgeklärte Frau gezeichnet wird, ist einerseits begrüßenswert, verharmlost andererseits aber gerade den Einfluss totalitärer Staaten auf die Konstitution ihrer Subjekte; bei Loyd&Moore begrüßt V Evey frei von Charme und keineswegs nonchalant als “slave”. Treffend für eine Minderjährige, die ausgespart bleibende Umstände in die Prostitution gezwungen haben.


Lloyd&Moore: Vor for Vendetta (New York 1995) S.12

Wenn V also eine unerwiderte Liebe zu Evey angedichtet wird, dann verlangt dies nach etwas, das unweigerlich gegen das verstößt, was V repräsentiert. Er ist die individuelle Verkörperung eines Typus, ein Symbol, nicht aber eine Person. Die Liebe muss unglücklich bleiben.

Die Maske abgenommen. (© Warner Bros/DC Comics)

Die Maske nimmt V in diesem Moment zwar ab, im Film erscheinen kann er so demaskiert aber nicht. Gewahrt wird, was V von der Person trennt: als personifizierte Idee, bleibt er wesentlich diese, sein Leben ist nur das der Idee – und über deren Gattung weiß Evey:

Ideas do not bleed. They do not feel pain. They do not love.

,

Wenn Evey am Ende versucht, V vor seinem Schicksal zu bewahren, berührt ihr Mund nur die körperliche Hülle einer Idee, die unempfindsam den Lippendruck als Verheißung eines anderen, als Kuss nicht nehmen kann:

[Y]ou cannot kiss an idea. You cannot touch it or hold it.

,

Dass sie dennoch einen Mann zu vermissen vorgibt, ist Ersatzhandlung als Erinnerung an eine Zeit, in der die von V verkörperte Idee des Umsturzes und des Unabgegoltenen als Antidote zur faschistischen Gegenwart ausreichte. Nach dem Film und dessen Zukunft, im Jahre 2022, substituiert sie nur den Mangel an lebendigen und liebenswürdigen Personen, eher noch an Umständen, die dem abstrakt Erträumten tatsächlich Leben einhauchen könnten.

Konrad
A Comic Book Hollywoodized - February 25, 2022 - Konrad Bucher