Visuelle Sprache 28. März 2023

Nina Menkes: Brainwashed: Sex - Camera - Power (2022)

Der Videoessay Brainwashed: Sex-Camera-Power
Nina Menkes beobachtet männliche Protagonisten, wie diese wiederum weibliche „Objekte“ beobachten. Im Hintergrund: eine Szene aus Denis Villeneuves Blade Runner 2049 (© Menkesfilm/Warner Bros/Sony Pictures).
basiert auf dem Vortrag Sex & Power: The Visual Language of Cinema der Regisseurin Nina Menkes. Sie zeigt Kontinuitäten der visuellen Sprache des Films auf, die unseren Blick diktieren. Sie sind uns so selbstverständlich, dass wir auf sie aufmerksam gemacht werden müssen, um sie zu hinterfragen. Männer und Frauen werden konsistent auf verschiedene Weise gefilmt. Weibliche Körper werden auf spezifische Weise kommodifiziert. Ohne es zu wissen, nehmen wir als Filmschauende eine spezifische Perspektive ein, die durch die Bildsprache des Films diktiert wird. Sexistische Aspekte eines Skripts, Dialogs oder Charakters mögen offen Anstoß erregen. Hinzu kommen jedoch die häufig nicht bewusst wahrgenommenen sexistischen Elemente der Bildsprache selbst. Letztere sind häufig sogar in Filmen mit weiblichen Hauptrollen zu finden, die Sexismus in und außerhalb der Filmwelt dezidiert kritisieren wollen. Menkes zeichnet ein Dreieck aus einer spezifischen visuellen Filmsprache, Diskriminierung am Arbeitsplatz sowie sexuellem Missbrauch und sexueller Gewalt. Auf diese Art produziert und perpetuiert die filmische Bildsprache Machtdynamiken. All diese Techniken sind, so Menkes, dezidierte Entscheidungen – mögen sie bewusst oder unbewusst getroffen worden sein.

Menkes identifiziert fünf Aspekte, die einer Vielzahl an filmischen Darstellungen gemeinsam ist:

(1.) Männer sind Subjekte, Frauen Objekte: Männer sehen, Frauen werden angesehen. Die Kamera nimmt die Perspektive des männlichen Protagonisten ein. Die visuelle Beziehung wird aus der Perspektive des männlichen Protagonisten erlebt.

(2.) Framing: Frauen werden – anders als Männer – oft als fragmentierte Körperteile dargestellt, nicht als ganze Personen mit ihrem ganzen Körper. Oft wird das Gesicht ausgespart, was eine Identifizierung verhindert. Selbstverständlich gibt es in Filmen auch klassischen Schönheitsidealen entsprechende Männer. Sie werden jedoch fast immer als ganze Personen dargestellt, ihre Körper sind vollständig zu sehen und sie führen eine aktive Tätigkeit aus.

(3.) Bewegung der Kamera: Ein Klassiker ist ein Schwenk über den weiblichen Körper („body pan“). Ferner werden Einstellungen in Slow-Motion bei Frauen für sexualisierte Szenen verwendet, in denen passiv der (nackte) Körper gezeigt und so das Beobachten erleichtert wird. Wenn Männer in Slow-Motion gezeigt werden, sind sie in eine aktive Tätigkeit involviert, häufig Action- und militarisierte Szenen.

(4.) Beleuchtung:
Zwei Ausschnitte aus Orson Welles Lady From Shanghai: Männer werden in 3D beleuchtet, während Frauen in 2D beleuchtet werden. Es handelt sich dabei um standardisiert differenzierte Techniken, die an Filmschulen so gelehrt werden, wie wir von Menkes Interviewpartnerin erfahren (© Menkesfilm).
Männer werden in 3D beleuchtet. Dadurch entstehen Schatten und Tiefe; die Figur wird an einem realen Ort lokalisiert. Frauen hingegen werden in 2D beleuchtet, was zu einer alters- und konturenlosen Weichzeichnung führt. Sie werden in einer zeit- und raumlosen Zone weiblicher Schönheit („male fantasy space“) lokalisiert.

(5.) Narrative Position der Charaktere: Die sexualisierte Darstellung von Frauen ist häufig auffallend irrelevant für die Geschichte. Anhand von Filmausschnitten aus Blockbustern und Kult-Klassikern demonstriert Menkes diese fünf Aspekte.

Selbst wenn das Thema eines Films die Objektifizierung von Frauen ist, kann der Film genau diese perpetuieren, wenn er die althergebrachten Techniken anwendet. Beispiel: Bombshell (2019). Fox-News-CEO Roger Ailes fordert die aufstiegswillige Mitarbeiterin Kayla Pospisil auf, ihre Beine zu zeigen und bedrängt sie so lange, bis diese ihre Unterwäsche entblößt. Obwohl der Film kritisch sein möchte, stellt er die Szene stereotypisch dar und reproduziert die sexualisierte Darstellung von sexueller Gewalt, indem die Kamera den Blick auf Kayla einnimmt und diese sexualisiert wird. Brainwashed wirft die Frage auf, wie diese Szene anders hätte gedreht werden können: Man hätte nur implizieren können, während die Kamera auf das Gesicht der Protagonistin fokussiert bleibt. Alternativ hätte man auch Kaylas Blick auf ihn zeigen können: sie beobachtet, wie er sie beobachtet. Diese Szenen handeln nicht wirklich von Sex, sondern von Macht. Und jemand, der so gefilmt wird, wie üblicherweise Frauen gefilmt werden, hat keine Macht.

The first feminist gesture is to say: “Ok. They’re looking at me. But I’m looking at them.” The act of deciding to look, of deciding that the world is not defined by how people see me, but by how I see them.

Agnès Varda, irgendwo (oft zitiert)


Die „line of identification“ des klassischen Kinos (© Menkesfilm).

Was ist eine legitime Art der Kritik, die zur Verdeutlichung und Bloßstellung das darstellt, was sie kritisiert und den Zuschauenden so einen Spiegel vorhält? Was eine bloße Reproduktion, die die bereits in den Köpfen eingeschliffenen Bilder perpetuiert? Wo ist die Trennlinie? Sie könnte dort sein, wo eine Szene beim Betrachten des Films als Bruch wahrgenommen wird; wo die Zuschauenden nicht in die bloße Betrachter-Perspektive gedrängt werden. Oder wird die Darstellung eines weiblichen Körpers sexualisiert, sodass sie die ZuschauerInnen – vermittelt durch den Blick des männlichen Subjekts – in ihren Bann zieht und eine kritische und fruchtbare Distanz gerade verhindert?

Interessant wäre es vielleicht, die von Menkes ausgesuchten Filmszenen im Zusammenhang des jeweiligen Filmes zu sehen. Nur um sicher zu gehen, dass Menkes sie nicht aus dem Kontext reißt und verfälscht. Andererseits ist genau dies einer der zentralen Punkte, die Menkes machen möchte: Ob der Film kritisch sein möchte oder nicht, ist zweitrangig, wenn dieselben Bilder wieder und wieder reproduziert werden. Sie schleifen sich in den Köpfen ein. In der Psychologie gibt es den „Mere-Exposure-Effekt“, der besagt, „dass allein die wiederholte Wahrnehmung einer anfangs neutral beurteilten Sache ihre positivere Bewertung zur Folge hat“.https://de.wikipedia.org/wiki/Mere-Exposure-Effekt Ein Beispiel hierfür sind Altersunterschiede zwischen männlichen und weiblichen SchauspielerInnen: wir sind als Zuschauende so sehr daran gewöhnt, dass weibliche Filmrollen an Personen vergeben werden, die 10 Jahre jünger sind als ihre männlichen romantischen Gegenparts, dass wir irritiert sind, wenn ein Filmpaar aus gleichaltrigen SchauspielerInnen besteht.Vgl. https://www.vulture.com/2015/09/emma-thompson-on-feminism-trump-and-teapots.html Man reproduziert die Bilder und akzeptiert sie unhinterfragt als Normalität, weil man fast nichts anderes sieht. Und was man nicht sieht, ist unsichtbar. Erforderlich ist es deshalb, den eigenen Blick umzutrainieren. Das aber kann nicht gelingen, wenn dieselben Bilder ständig reproduziert werden – egal in welchem Kontext.

Ein anderer in Brainwashed diskutierter Aspekt ist die Darstellung von (nicht-)konsensuellem Sex im Film. Geradezu ein Klassiker unter den Filmszenen ist die Darstellung einer Frau, die sich ziert und sich verweigert, sich gar wehrt und deutlich ihren Widerwillen ausdrückt. Hinzu kommt ein Mann, der forsch ist und gewitzt, der sich der Frau aufdrängt, sie festhält, sie küsst und ihre Weigerungen verweigert. Schließlich gibt sie nach, gibt sich ihm hin und genießt den Sex. So entsteht konsensueller Sex. Dies wird untermalt durch die Filmmusik, die sich entsprechend verändert. Wenn die Frau doch aber schließlich einwilligt, was spricht dagegen? Dagegen spricht, dass es sich nicht um eine Abbildung einer typischen Lebenssituation handelt; in aller Regel geht eine Übergriffigkeit oder gar eine versuchte Vergewaltigung nicht zu konsensuellem Sex über. Aber ein Film muss doch nicht die Realität abbilden; wenn es hier nun einmal so ist, ist das doch die künstlerische Freiheit des Regisseurs, oder? Das Problem ist, dass diese Art von Szene so allgegenwärtig ist, dass sich sogar bezweifeln lässt, wie bewusst sich der Regisseur dafür entschieden hat. Sie ist so allgegenwärtig, dass sie sich in den Köpfen der Zuschauenden und Filmemachenden festsetzt und als der Normalfall angesehen wird. Eine bloße Reproduktion dieser Szene ist weder Ausdruck künstlerischer Freiheit noch kritische Auseinandersetzung. Diskussionen wie die in Brainwashed dienen gerade dazu, künstlerische Freiheit zu schützen, indem die verinnerlichten Vorgaben sexismus-konformer Bildsprache reflektiert werden und so Raum für wahre künstlerische Freiheit auf allen Ebenen geschaffen werden kann.

Die Grandiosität
Auch kritisch gemeinte Reproduktionen reproduzieren und haben gesellschaftliche Rückwirkungen, solange sie keine kritische Distanz schaffen (© Menkesfilm).
von Brainwashed liegt nicht darin, dass inhaltlich neue Aspekte aufgezeigt werden. Im Gegenteil sind die meisten Punkte, die Menkes aufführt, seit Mulveys Diskussion um den „male gaze“ und die „to-be-looked-at-ness“ bekannt und es wirkt fast anachronistisch, noch einen Film über diese Thematik zu machen. Nichtsdestotrotz: In der Filmwelt scheinen diese Erkenntnisse allenfalls langsam anzukommen, was nicht zuletzt die von Menkes angeführten Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen. Die wirkliche Schlagkraft des Films liegt jedoch darin, visuell – das heißt: in der dem Medium Film eigenen Sprache – zu verdeutlichen, was uns rational längst bewusst ist. Es macht einen Unterschied, die Zusammenschnitte vieler gleichförmiger und sexistischer Filmausschnitte aneinandergereiht zu sehen; erst dadurch sackt die Erkenntnis ein, wie omnipräsent der „male gaze“ auch heute noch ist. Es geht – das macht auch Menkes deutlich – nicht darum, dass die gezeigten Filme nicht mehr geschaut werden oder als Meisterwerke gefeiert werden dürfen. Aber sie können bei aller legitimen oder gar gebotenen Hochachtung auch nicht in jeder Hinsicht glorifiziert, sondern müssen mit einem distanziert-kritischen Blick gesehen werden. Einem Blick, der anerkennt und feiert, dass sich bestimmte Dinge geändert haben und weiterer Fortschritt möglich ist. Brainwashed gibt das Werkzeug an die Hand, um diese spezifischen Aspekte gezielter erkennen und mit einem distanzierteren Blick aufnehmen zu können.

Auf der Homepage zum Filmhttps://www.brainwashedmovie.com/ findet sich eine Liste mit essentieller Literatur („Essential Reading“), auf die sich Menkes bezieht und die sie für den Film verwendet hat. Darunter neben dem Klassiker Visual Pleasure and Narrative Cinema von Laura Mulvey auch beispielsweise Audre Lordes Uses of the Erotic: The Erotic as Power und The Oppositional Gaze von bell hooks.

Felicitas
Visuelle Sprache - March 28, 2023 - Konrad Bucher